Die Stärke des Religionsunterrichts
Nach über 20 Jahren soll aus dem bewährten Schulversuch Ethikunterricht jetzt ein Pflichtfach für Schülerinnen und Schüler werden, die keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchen. Die Gegner dieses Modells, das als Gesetzesentwurf der ÖVPGrünen- Koalition nun vorliegt, bedienen in ihrer Kritik gerne Vorurteile gegen den Religionsunterricht. Dieser sei nicht vernunftgeleitet, sondern indoktrinativ, wird behauptet. Außerdem würde der Religionsunterricht nur dogmatische Glaubensinhalte abdecken, aber keine ethischen Fragestellungen behandeln. Das kann aber nur jemand behaupten, der den Religionsunterricht entweder nicht kennt oder bewusst falsch darstellen will. Beide Vorurteile können mit Blick auf die Religionslehrerinnenausbildung, deren Inhalte sowie auf aktuelle Lehrpläne und die Praxis leicht ausgeräumt werden.
Es geht nicht um Ideologie
So geht es beim schulischen Religionsunterricht nicht um Ideologie, sondern um eine vernunftgeleitete Auseinandersetzung mit dem Glauben in seiner sinnstiftenden und kulturprägenden Kraft. „Reli“ betreibt keine Glaubensunterweisung im engeren Sinn, sondern möchte Inhalte der eigenen Glaubenstradition mit der Lebenspraxis von Kindern und Jugendlichen, aber auch mit aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen und diversen Weltanschauungen in Beziehung setzen. Verschiedene, durchaus differente Positionen und Haltungen können dabei zu Wort kommen, genauso wie Kritik an Inhalten der eigenen Tradition. Die Stärke des Religionsunterrichts liegt gerade darin, dass er emotional und kulturell geprägte religiöse Grundhaltungen einer vernünftigen, offenen Diskussion zuführen kann.
Dazu kommt, dass christliche Glaubensinhalte immer schon ethische Implikationen haben, die für die Allgemeinheit Bedeutung haben. Als Beispiel können umweltethische Themen herangezogen werden. Was
man heute unter Umweltschutz versteht, ist im Christentum unter dem Begriff Schöpfungsverantwortung ein Thema: Aus biblischer Sicht ist der Mensch immer nur Gast auf Erden, ihm ist die Schöpfung, also die Natur
und Umwelt, geschenkt und dabei aufgetragen, verantwortungsvoll mit ihr umzugehen. Die daraus erwachsende Relevanz für aktuelle Themen wie Nachhaltigkeit, Lebensstil und Klimaschutz liegt auf der Hand.
Der Religionsunterricht hat zudem einen persönlichkeitsbildenden Schwerpunkt. „Reli“ bietet aus der Auseinandersetzung mit der Glaubenstradition Kindern und Jugendlichen Orientierung und Hilfestellung für die Lebensbewältigung. Dabei will er – so wie der Ethikunterricht – zur selbstständigen Reflexion und zum autonomen Denken anregen. Es ist daher leicht zu belegen, dass Bildungsziele und Inhalte, die nun im Ethiklehrplan festgeschrieben sind, sich auch bei Religion finden: In beiden Fächern geht es um grundlegende Fragen der personalen Freiheit und ethischen Urteilsfindung, Sozialethik,
Glücksvorstellungen, der Interkulturalität und Interreligiosität, der Menschenrechte etc.
Aus Sicht des Religionsunterrichts ist der Besuch beider Unterrichte daher nicht zielführend. Zu begrüßen sind aber die neuen Kooperationsmöglichkeiten, wo die Schüler beider Fächer gemeinsam unterrichtet werden können, was sich im Schulversuch schon bewährt hat. Religion und Ethik haben als Fächer ihren Wert, die Schülerinnen und Schüler sollten zwischen ihnen eine echte Wahl haben. Untergriffige Vorurteile gegen den Religionsunterricht oder der zwangsweise zusätzliche Ethikunterricht für alle sind dafür der falsche Weg.